TL;DR: Übungsformate wie Multiple-Choice-Tests oder Lückentexte gelten didaktisch als nicht mehr zeitgemäß. Dennoch ist kooperatives und kollaboratives Lernen mit diesen Formaten möglich, wenn Lernende diese selber gestalten
Oliver Tacke berichtet in seinem aktuellen Blogpost von einer Diskussion zum Einsatz von H5P, einer freien Software mit der man interaktive Lerninhalte wie Multiple-Choice-Tests, Lückentexte, Zeitstrahlen, VR-Präsentationen oder Memory-Spiele erstellen kann. Auch wenn sich diese Formate dank H5P nun wunderbar einfach erstellen und sogar remixen lassen, gelten sie didaktisch als wenig interessant und nicht mehr zeitgemäß – zumindest, wenn man sie nur der/die Lehrende nutzt.
Aus technischer Sicht ist so etwas wie H5P Essay eher langweilig. Da wird ein Text geparsed. Wow. Ja, es sind einige Kniffe drin. Es gibt etwas wie „Unschärfe“, damit Tippfehler oder unterschiedliche Wortendungen nicht dazu führen, dass ein Begriff nicht erkannt wird. In Summe war die Erstellung dennoch eher Fleißarbeit. Für die TeilnehmerInnen waren die Möglichkeiten allerdings völlig neu und vielleicht ein wenig wie Magie – und daher sehr interessant.
Aus didaktischer Sicht sind die palliativen Maßnahmen wie (oft) Multiple Choice Quizzes auch wenig spannend. In eine ähnliche Kerbe schlägt H5P Essay.
Quelle: Symptomatische schnellere Pferde? (2019)
Die Teilnehmer*innen des Workshops waren dennoch neugierig, scheinbar haben diese Formate in vielen Lernumgebungen noch immer einen Neuigkeitswert und können – “wie Magie” – den Unterricht beleben, wenn sie sparsam eingesetzt werden.
Dies entkräftet aber noch nicht den Vorwurf einer “palliativen Didaktik” (Axel Krommer), nach dem diese Formate lediglich dazu beitragen, längst überkommene didaktische Prinzipien mithilfe digitaler Technik fortzuführen, anstatt digitale Techniken für zeitgemäße Bildung einzusetzen:
Wenn durch Big Data, scheinbar intelligente Algorithmen und instant feedback (sensu Skinner) lediglich maschinelle Formen des Nürnberger Trichters installiert werden, verändert sich das Schulsystem nicht grundlegend.
Quelle: Axel Krommer: Notwendige Neologismen: „Palliative Didaktik“ (2017)
Zu dem Einsatz von Multiple Choice-Tests als “Nürnberger Trichter” gibt es allerdings eine Alternative, die ein aktives, selbstgesteuertes Lernen ermöglicht: Statt dass stets nur Lehrende diese Tests erstellen, kann man auch die Lernenden selbst ein solches LMS- oder Authoring-Tool nutzen lassen, um Formate wie Lückentexte, Quizformate oder Memory-Spiele zu erstellen. Doese werden dann entweder zur Selbstkontrolle genutzt oder im Peer-to-Peer-Lernen mit anderen Lernenden ausgetauscht, ausgefüllt und besprochen.
Auf diese Weise lassen sich auch andere digital gestützte Formate nutzen, welche die Lernenden sonst in eine passive Rolle drängen. Statt Arbeitsblätter nur zu verteilen, lassen sich mit Tools wie Tutory innerhalb der Lerngruppe selbst welche erstellen; die Klasse oder die Gruppe kann eigene Blogposts schreiben oder sogar Videos aufnehmen. Wichtig ist nur, dass man die Authoring-Tools nicht nur nutzen, sondern auch freigeben kann. Auf diese Weise wird nicht nur geübt, einen Test auszufüllen, sondern auch, eigene Fragen zu formulieren, das Wissen in neue Aufgaben zu verwandeln und diese in der Diskussion mit anderen Lernenden zu vertreten. Weitere Ideen finden sich in der edumail von Nele Hirsch; bei Projektarbeiten von Lernenden z.B. lässt sich H5P ebenfalls einsetzen.
Dies setzt natürlich voraus, dass Lehrende ihre Rolle im Sinne einer Lernbegleitung verstehen und dass es – zeitlich, technisch, kulturell (…) – einen Raum gibt, damit selbstgesteuertes Lernen gelingt. Dies gilt umso mehr in der beruflichen Bildung, bei der es häufiger vorkommen kann, dass das neue Wissen später auch angewendet werden soll. Aber dazu ein andermal mehr.