Die Auseinandersetzung mit Kunst im Netz findet in einer rechtlichen Grauzone statt. Eine offene Bildpolitik mit freien Lizenzen bietet neue Möglichkeiten für Künstler und Kuratoren, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. (Gastkommentar im Monopol-Magazin).
Mit seiner Ausstellung „Kunst für alle“ an der Berliner Akademie der Künste möchte der Grafiker, Sammler und Akademiepräsident Klaus Staeck den Menschen wieder Mut machen, von ihrer Kreativität Gebrauch zu machen. Die ausgestellten „Multiples“ zielen auf eine Befreiung der Kunst aus dem bürgerlichen Ghetto, eine Öffnung des geschlossenen Kunstsystems nach dem Motto von Joseph Beuys: „Ich bin interessiert an der Verbreitung von physischen Vehikeln in Form von Editionen, weil ich an der Verbreitung von Ideen interessiert bin.“
Das bewusst antiauratische Konzept stößt an die Grenzen des geltenden Urheberrechts. An der Eröffnung nahmen mehr als sechshundert Gäste teil, auf sozialen Netzwerken war die Veranstaltung dennoch nahezu unsichtbar. Wie in den meisten Ausstellungen gilt auch bei „Kunst für alle“ ein striktes Fotografierverbot, Ausnahmen gibt es nur nach vorheriger Absprache. Diese Situation ist nicht überraschend: Wer ungefragt Bilder von Gegenwartskunst teilt, riskiert einen teuren Rechtsstreit.
Wie der Urheberrechtsspezialist Till Kreutzer von der Infoplattform iRights feststellt, behindert die aktuelle Rechtslage ebenso den freien Zugang wie auch die kreative Entfaltung. Die in der Ausstellung vertretenen Künstler dagegen kopieren völlig hemmunglos. In zahlreichen Grafiken werden bekannte Werke der Kunstgeschichte und geschützte Marken verwendet, gerne auch Schattenrisse der Disney-Maus mit Erektion oder abgetrenntem Arm. In seinem Plakat „Die vier apokalyptischen Reiter“ergänzt Klaus Staeck das gleichnamige Werk Albrecht Dürers um die Namen von bekannten Internetkonzernen.
Auch wenn es sich bei der Grafik selbst um einen Remix handelt, gilt für das neu entstandene Werk das Staeck-Copyright: Eine kritische Rekontextualisierung wie in der surrealistischen Montage „La femme cachée“ wäre ohne explizite Genehmigung ebensowenig möglich wie eine Abbildung in der Wikipedia. Eine Auseinandersetzung mit der Ausstellung in Form von Appropriation Art, Twitter-Posts oder Blogartikeln setzt umständliche Genehmigungen, hohe Gebühren und bürokratische Leidensfähigkeit voraus. Falls die Urheber zu spät antworten oder der Kontext nicht genehm erscheint, muss der demokratisch-kreative Besucher mit einer Abmahnung rechnen, sofern er nicht ganz auf den Beitrag verzichtet.
Aufgrund der Rechtslage bewegt sich Gegenwartskunst im Netz an äußerst kurzer Leine. Auch wenn Künstler regelmäßig selbst von frei verfügbarer Inspiration profitieren, die Freigabe von Inhalten wird in der bildenden Kunst noch immer selten genutzt. Zugleich wächst die Bedeutung einer hohen Sichtbarkeit der Werke im Netz, einer unkomplizierten Verbreitung und einer stärkeren Öffnung für eine aktive Beteiligung der Betrachter. Auf der Grundlage des Urheberrechts gibt es dazu mehrere Möglichkeiten, welche eine freie Nutzung nach der Open Definitionerlauben. Eine bewährte Lösung bieten die folgenden Creative Commons-Lizenzen:
- Nach der Lizenz CC0 wird das Werk in die Gemeinfreiheit entlassen, ohne weitere Pflichten für die Nutzer. Der Urheber verzichtet hier freiwillig auf sämtliche Schutzrechte, das Werk ist Teil der public domain.
- Mit dieser Lizenz CC-BY können Inhalte nur dann weiterverwendet und geteilt werden, solange Urheber, Titel, Quelle und Lizenzform des Bildes mit angegeben werden.
- Die Lizenz CC-BY-SA wirkt sich darüber hinaus auf die die nachfolgenden Bearbeitungen aus: Wer auf dem Bildmaterial aufbaut, darf seine Beiträge ebenfalls nur unter dieser Lizenz verbreiten.
Vom Umgang mit unerwarteten Nutzungen
Eine häufige Fragestellung bei freien Lizenzen ist der Umgang mit einer möglichen kommerziellen Nutzung der Werke. Neben den Seiten von Firmen und Zeitungen gelten auch viele Blogs zu Nischenthemen bereits als kommerziell. Daraus ergeben sich neue Fragestellungen: Wie gehen Künstler mit einer Serie bedruckter Kaffeetassen um oder damit, wenn eine Firma Bilder mit CC-Lizenz ungefragt auf ihre Webseite stellt?
Unter tausenden von willkommenen Kopien in Blogs oder Zeitungen sind unerwünschte Verwendungen von Werken mit freier Lizenz noch immer selten. Unerwartete Nutzung wird von Rechteinhabern meist ignoriert, da jede Kopie den Wert der limitierten Originale potentiell steigert. Bei CC-Lizenzen sind Namensnennungen nur in einer Form erlaubt, bei der nicht der Eindruck entsteht, der Lizenzgeber unterstütze die Nutzung in diesem Kontext besonders.
Die Angst vor dem falschen Kontext lässt sich umkehren: Kommerzielle Anbieter sind bei der Verwendung von Material mit freien Lizenzen aus guten Gründen vorsichtig. Während der Podiumsdiskussion zu „Kunst für alle“ berichtete der Berliner Regisseur Herbert Fritsch aus der Praxis der Volksbühne: Ein Zuschauer murmelt ständig „Heil Hitler“, die Schauspieler bitten den Störenfried nach vorne, stellen ihn damit ruhig und entzaubern dessen Einfluss. Ungewollte Publikumsbeiträge werden in das Spiel mit einbezogen und dadurch verwandelt.
Wer ungefragt ein Kunstwerk nutzt, muss im Netz ebenfalls mit deutlichem Widerspruch und negativer PR rechnen. Durch die rechtliche Verpflichtung zur Quellenangabe bei CC-BY-Lizenzen verweist jede Abbildung zurück auf den Urheber und eröffnet die Gelegenheit zum Kommentar auf der eigenen Plattform. Auf diese Weise entsteht gleichsam eine Bühne für die eigene Position. Bei einer CC-BY-SA-Lizenz steht der kommerzielle Zusammenhang selbst zur Nachnutzung frei, kann also noch leichter kommentiert und parodiert werden. Wie John Weitzmann von Creative Commons Deutschland beobachtet, haben besonders Werbeagenturen „kein Interesse daran, dass plötzlich jeder mit ihrer Werbung machen kann, was er will.“Statt bürokratischen Schranken werden Werke mit freien Lizenzen von einer neuen Qualität der Vernetzung begleitet.
Hängen Definition und Bewertung von Bildern als Kunst tatsächlich nur vom richtigen Kontext ab? Bereichern soziale Netzwerke die Rezeption? Wie interessant sind Künstler für Förderinstitutionen, wenn Teile ihres Werkes im Netz populär sind? Rechteinhabern ist zu empfehlen, die Frage der Lizensierung bei der Planung von Ausstellungen mit einzubeziehen. Neben einer breiten Diskussion über die Marktbedingungen und Fördermöglichkeiten von Gegenwartskunst sind Pilotprojekte besonders aufschlussreich, um die Verwendung von freien Lizenzen zu bewerten.
Gelungene Vermittlung mit freiem Zugang
Wie man moderne Kunstvermittlung innovativ und gelassen gestaltet, demonstriert das Amsterdamer Rijksmuseum. In dem Online-Portal Rijksstudio kann man 190.000 Bilder in höchster Qualität herunterladen. Da die meisten Urheber bereits seit mehr als 70 Jahren verstorben sind, stehen die Inhalte in der public domain. Diese Großzügigkeit ist keine Ausnahme, neben anderen Institutionen bietet auch das EU-Projekt Europeana Metadaten mit einer CC0-Lizenz an. Die Datamanagerin des Rijksmuseums Lizzy Jongma zeigt sich vollkommen unbesorgt vor dem digitalen Kontrollverlust: „We are so happy with whatever people do with our collection!“ Auch Direktor Taco Dibbits freut sich noch im Falle von bedruckten Kleidern, Sitzsäcken und Toilettenpapier herzlich über die hohe Reproduktionsqualität der Werke und die wachsende Bekanntheit des Hauses. Der kunsthistorischen Bewertung von Vermeer hat dies bislang nicht geschadet.
Auf der Grundlage von freien CC-BY-Lizenzen funktioniert auch das Portalhintme.dk der dänischen Nationalgalerie. Dank passender Twitter-Hashtags wird jedes Werk durch eine Ebene der Interaktion ergänzt. Für Ausstellungen bietet dieses Konzept eine elegante Lösung: Auch wenn nur eine kleine Auswahl mit einer freien Lizenz angeboten wird, können Besucher und Medien rechtssicher für die Veranstaltung werben.
Mit dem Hackathon „Coding da Vinci“ gehen Kulturinstitutionen noch einen Schritt weiter: Hier werden die Daten nicht nur geteilt, sondern auch von Programmieren und Designern in neue Formate verwandelt. So entstanden 2014 unter anderem ein Online-Denkmal, ein tanzender Käfer-Roboter und eine Wecker-App mit Aufnahmen von Vogelstimmen. Auch in diesem Jahr werden wieder zahlreiche Teilnehmer erwartet, sämtliche Daten stehen mit freien CC-Lizenzen nach der Open Definition bereit und sind für alle Interessenten dauerhaft nutzbar.
Wie lässt sich Gegenwartskunst auch im Digitalen glaubwürdig und wirksam vermitteln? Um flexiblere Formen der Vergütung zu ermöglichen, ließe sich beispielsweise eine neue Verwertungsgesellschaft gründen, ähnlich der Creative Commons Collecting Society (C3S) in der Musik. Bei der Nutzung freier Lizenzen für einzelne Werke zeigt sich die VG Bild-Kunst erfreulich aufgeschlossen. Langfristig bietet eine vorsichtige Anpassung des Urheberrechts nach den Vorschlägen der Initiative „Recht auf Remix“ die Möglichkeit, kreative Kopien großzügiger zu erlauben und Rechteinhaber dafür zu vergüten. Bis sich eine umfassende Lösung findet, ist die Verwendung von Creative-Commons-Lizenzen überall dort zu empfehlen, wo die Verbreitung von Ideen und ein freier Zugang zur Kunst im Vordergrund steht.
Abgesehen von der restriktiven Bildpolitik ist die Ausstellung „Kunst für alle“ sehr zu empfehlen. Konzept und Titel erinnern an das alte Versprechen der Kunst, mit ihren Irritationen und Anregungen in allen Schichten der Gesellschaft zu wirken. Mit der Digitalisierung ergeben sich dazu neue Möglichkeiten. Wie setzen wir diese Gelegenheit um?
Für Künstler und andere Rechteinhaber, die Werke in Pilotprojekten mit Creative Commons-Lizenzen freigeben möchten, bieten Plattformen wie Open Knowledge Foundation, iRights.info, Creative Commons, RechtaufRemix.org und Wikimedia Deutschland weitere Informationen sowie Ansprechpartner bei Fragen. Vertreter von Verwertungsgesellschaften und Museen sind ebenfalls eingeladen, zukunftsweisende Lösungen für offenes Wissen im Austausch zu entwickeln.
Update 16.04.2014: Nach Rücksprache mit Klaus Staeck wurde das Fotografieverbot in der Ausstellung KUNST FÜR ALLE aufgehoben. Damit sind Aufnahmen für den Eigengebrauch möglich, ein Remix oder die Weitergabe im Internet ist weiterhin im Einzelfall zu klären.