Eine interessante Tendenz bei Initiativen der Flüchtlingshilfe ist die zunehmende Nutzung von eigenen Projektseiten: Letztes Jahr waren viele Initiativen lediglich auf Facebook aktiv, um sich mit Geflüchteten und Helfern zu vernetzen. Gruppen wie “Syrisches Haus”, “Are you Syrious?”, “Moabit hilft” oder der Migration Hub unterhalten nun ebenfalls eine Website; ähnlich die Entwicklung in unserem Phrasebook-Projekt. Die meisten Aktivitäten lassen sich in den sozialen Netzwerken beobachten, die Updates auf den Projektseiten sind deutlich seltener. Wo liegen die Vorteile einer eigenen Homepage?
Zu Beginn einer Initiative gibt es klare Vorteile, die für Facebook sprechen: Durch die Verbindung von Profilen mit privaten Daten wie Interessen, Likes, Bekanntschaften, Gruppen, entsteht Vertrauen. Bei aktuellen Themen wie Migration und Asyl kann es zu persönlichen Angriffen bis hin zu politisch motivierter Gewalt kommen. Bereits ein Minimum an persönlicher Information ist in Online-Projekten hilfreich, um die Gruppe zu erweitern und Vorschläge und mögliche Kooperationen einschätzen zu können.
Ein anderer Grund ist praktischer Natur: Helfer haben wenig Zeit, oft nehmen sie sich extra Urlaub für ein Projekt, in dieser Zeit möchten sie etwas bewirken. Die Nutzung von Plattformen ist bestechend einfach. Man spart man sich die Auseinandersetzung mit WordPress-Installationen, Verzeichnisrechten, FTP-Programmen, Passwörtern und CSS-Dateien; lästige Designfragen sind äußerst reduziert und Serverkapazitäten sind auch bei größerer Auslastung kein Thema.
Wo liegen die Nachteile? Wird das Projekt größer, stößt die Nutzung von Plattformen an ihre Grenzen:
- Unabhängigkeit
Der Bestand der Seite ist nicht den Geschäftsbedingungen und politischen Vorgaben der Plattformen abhängig. Auf facebook werden nicht selten Inhalte oder ganze Seiten gelöscht. Es gibt keine Garantie für den Bestand der community, sollte eines Tages die Aktienmehrheit oder die Geschäftsführung wechseln. - PR / Fundraising
Um ein Thema voranzubringen, ist Unterstützung von außen wichtig. www.UnserProjekt.de lässt sich leichter vermitteln als facebook.de/unserprojekt. Da es auf der Plattform mehrere Initiativen ähnlichen Namens geben kann, wird die Facebook-Präsenz durch eine eigene Homepage zusätzlich legitimiert - Updates und Nachrichten
Bei großer Aktivität der Gruppe sind wichtige Beiträge in der Timeline schon nach kurzer Zeit nicht mehr sichtbar. Mit einem eigenen Blog lässt sich ein Thema deutlich übersichtlicher mit Artikeln und weiterführenden Inhalten begleiten. Über Dienste wie ifttt oder Buffer lassen sich neue Artikel automatisch auf allen Netzwerken posten – auf diese Weise spart man Zeit. - Sichtbarkeit
Auf Plattformen wie Facebook entscheiden Algorithmen, welche Beiträge den Nutzern bevorzugt angezeigt werden. Artikel auf einer Website sind dauerhaft sichtbar. - Community-Building
Durch eine individuelle Gestaltung lässt sich die Initiative besser vermitteln. Durch Email-Newsletter lässt sich ein unabhängiger Kanal aufbauen - Koordination
Mindestens das Projektteam sollte zusätzlich per Email erreichbar sein. Verschiedene Kanäle entlasten das Team: Viele nutzen Facebook vorwiegend in der Freizeit, die Verlagerung von projektbezogenen Nachrichten auf andere Kanäle (=im Kontext „Arbeit“) wirkt oft entlastend.
Auch wenn die Community vorwiegend auf Facebook aktiv ist, ist eine eigene Website wichtig für Initiativen, um Projekte über die bestehenden Kreise hinaus zu entwickeln. Fehlt die Zeit zum Webdesign, lohnt es sich, für alle Fälle eine URL zu reservieren. Eine einfache Gestaltung lässt oft schon mit Hilfe von Freiwilligen aufbauen (z.B. über https://www.youvo.org/ ). Plattformen verhalten sich ähnlich wie ein offenes Forum auf einem Marktplatz: Zur Vernetzung sind sie unumgänglich, der Bezugspunkt bleibt die eigene Adresse. Auch wenn es erstmal keine Zeit für die Einrichtung gibt, lohnt es sich, für alle Fälle eine URL zu reservieren.